Weltkarte mit Covid-19 Verbreitung.

Faktor Mensch einberechnet: Wie schlimm könnte die Winterwelle werden?

Von Klaus Wedekind

Die Coro­na-Win­ter­wel­le baut sich auf, die Fall­zah­len stei­gen, die Inten­siv­sta­tio­nen fül­len sich, mehr Men­schen ster­ben an Covid-19. Wie schlimm könn­te es noch kom­men? Ein Blick in den Covid-Simu­la­tor zeigt mög­li­che Ent­wick­lun­gen, aber vor allem, was den ent­schei­den­den Unter­schied machen könnte.

Dass in Herbst und Win­ter die Zahl der Coro­na-Neu­in­fek­tio­nen noch­mal deut­lich ansteigt, ist kei­ne Über­ra­schung, dass die vier­te Wel­le schon Ende Okto­ber so stark Fahrt auf­nimmt, viel­leicht schon. Seit Anfang des Monats hat sich die bun­des­wei­te Sie­ben-Tage-Inzi­denz von 63 auf aktu­ell 118 Fäl­le pro 100.000 Ein­woh­ner nahe­zu ver­dop­pelt und die Kur­ve zeigt fast senk­recht nach oben.

Obwohl die Vor­aus­set­zun­gen im zwei­ten Coro­na-Win­ter durch die Imp­fun­gen völ­lig anders sind, sieht man die Aus­wir­kun­gen auch bereits auf den Inten­siv­sta­tio­nen, wo die Bele­gung mit Covid-19-Pati­en­ten bei bereits recht knap­pen Kapa­zi­tä­ten rasch zunimmt. Auch die Zahl der Coro­na-Toten steigt, aller­dings wesent­lich lang­sa­mer als die Neu­in­fek­tio­nen nach oben gehen.

Exakte Prognosen nicht möglich

Die gro­ße Fra­ge ist, wie schlimm es noch wer­den wird. Steigt uns die Wel­le über den Kopf und die Kran­ken­häu­ser kom­men an ihr Limit? Oder bricht sie früh genug, um das zu ver­hin­dern? Und mit wie vie­len Toten ist noch zu rech­nen? Der bis­he­ri­ge Pan­de­mie­ver­lauf hat gezeigt, dass Pro­gno­sen extrem schwer sind. Das Virus und vor allem die Bevöl­ke­rung ver­hal­ten sich nicht immer so, wie man es erwar­tet. Man weiß nicht wirk­lich, wel­che Maß­nah­men wel­che Wir­kun­gen haben, ver­läss­li­che Daten feh­len, bis­her unbe­kann­te Fak­to­ren wer­fen Berech­nun­gen über den Hau­fen. https://datawrapper.dwcdn.net/5IXXB

Mathe­ma­ti­sche Model­le haben sich des­halb in der Ver­gan­gen­heit als nicht sehr zuver­läs­sig her­aus­ge­stellt und als Basis für poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen sind sie daher weit­ge­hend unge­eig­net. Man kann sie aber trotz­dem nut­zen, um sich einen Ein­druck davon zu ver­schaf­fen, was pas­sie­ren könn­te und wor­auf man mög­li­cher­wei­se vor­be­rei­tet sein soll­te. Und die Model­le kön­nen zu einem gewis­sen Maße zei­gen, wel­che Fak­to­ren es sich lohnt, zu beeinflussen.

Simulator zeigt nur mögliche Entwicklungen

All­ge­mein zugäng­lich ist der Covid-Simu­la­tor der Uni­ver­si­tät des Saar­lan­des. Vor knapp einem Jahr sag­te er zwar nicht prä­zi­se vor­aus, was pas­sie­ren wird. Doch er zeig­te klar, dass bis Weih­nach­ten mit sehr hohen Inzi­den­zen und auch mit vie­len Toten zu rech­nen war — und so trat es schließ­lich auch ein.

Inzwi­schen haben die saar­län­di­schen Wis­sen­schaft­ler an ihrem Modell gefeilt und neue Fak­to­ren ein­be­zo­gen. Damit arbei­tet das Modell grund­sätz­lich schon mal genau­er. Außer­dem wer­den sich dies­mal die Rah­men­be­din­gun­gen in den kom­men­den Mona­ten kaum ändern, nach der jüngs­ten Beschluss­la­ge wird es unter ande­rem eher kei­nen Lock­down geben und kaum zu Schul­schlie­ßun­gen kommen.https://datawrapper.dwcdn.net/asvnE/

Bei gleich­blei­ben­der Ent­wick­lung errech­net der Simu­la­tor bis zum 25. Novem­ber, an dem die epi­de­mi­sche Not­la­ge aus­lau­fen soll, eine bun­des­wei­te Sie­ben-Tage-Inzi­denz von rund 135 Neu­in­fek­tio­nen. Danach geht die Kur­ve wei­ter steil nach oben und zu Weih­nach­ten lie­gen die Fall­zah­len bei 250. Den Höhe­punkt erreicht die vier­te Wel­le dem Modell nach im März mit einer Inzi­denz von fast 500, um dann eben­so schnell abzu­neh­men, wie sie zuvor zuge­legt hatte.

Viele Tote, überlastete Krankenhäuser?

Die Todes­zah­len stei­gen laut Simu­la­tor wesent­lich gerin­ger an, errei­chen zum Höhe­punkt im Febru­ar Wer­te knapp unter 700 täg­li­chen Opfern. Aktu­ell ster­ben in Deutsch­land im Sie­ben-Tage-Schnitt knapp 80 Men­schen im Zusam­men­hang mit Covid-19, im ver­gan­ge­nen Janu­ar waren es fast 900.

Wäh­rend man die errech­ne­ten Todes­zah­len je nach Stand­punkt noch als ver­kraft­bar betrach­ten mag, hät­ten die Kran­ken­häu­ser bei die­sem Sze­na­rio ein ech­tes Pro­blem. Denn hier sieht das Modell im Febru­ar bis zu 12.500 Covid-19-Pati­en­ten auf den Inten­siv­sta­tio­nen, von denen rund 7500 beatmet wer­den müss­ten. Die bis­her höchs­te Zahl von Coro­na-Inten­siv­pa­ti­en­ten wur­de am 3. Janu­ar 2021 mit 5745 regis­triert. Die­ser Wert wäre laut Simu­la­tor bereits kurz vor dem Jah­res­wech­sel erreicht.

Faktor Mensch entscheidend

Die Erfah­rung lehrt aber, dass die Ent­wick­lung nicht so gleich­mä­ßig ver­lau­fen dürf­te, wie vom Modell errech­net. Denn die Bevöl­ke­rung ist kei­ne stu­pi­de Her­de, die nicht erkennt, was pas­siert. So ist zu erwar­ten, dass die Men­schen an einem gewis­sen Punkt reagie­ren und ihr Ver­hal­ten ändern. Das war schon zu Beginn der Pan­de­mie vor Inkraft­tre­ten des ers­ten Lock­downs so und hat sich danach wiederholt.

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Wür­de sich nichts ändern, müss­te man mit einer Über­las­tung der Kran­ken­häu­ser rechnen.(Foto: CoSim Online)

Das sieht auch Phy­si­ke­rin Vio­la Prie­se­mann so, die zusam­men mit ande­ren deut­schen Wis­sen­schaft­lern ver­schie­de­ne Sze­na­ri­en für den kom­men­den Win­ter berech­net hat, nach­zu­le­sen in “The Win­ter Dilem­ma” (“Das Win­ter-Dilem­ma”). Die For­scher gehen davon aus, dass eine stei­gen­de Zahl von Inten­siv­fäl­len dazu führt, dass die Men­schen sich selbst schüt­zen möch­ten, indem sie frei­wil­lig ihre Mobi­li­tät ein­schrän­ken. Außer­dem rech­nen sie damit, dass sich dann auch mehr bis­her skep­ti­sche Men­schen imp­fen las­sen werden.

Ein “Weiter so” könnte genau richtig sein

Die Schluss­fol­ge­rung der Wis­sen­schaft­ler ist, dass zu stark ein­schrän­ken­de Maß­nah­men kon­tra­pro­duk­tiv wären. Sie erwar­ten in so einem Fall zwar zunächst nied­ri­ge­re Inzi­den­zen und damit Hos­pi­ta­li­sie­rungs- und Todes­zah­len. Das wür­de jedoch mehr als kom­pen­siert, wenn im Früh­jahr die Ein­schrän­kun­gen fal­len und dann das Virus noch­mal freie Bahn in mehr nicht geimpf­ten bezie­hungs­wei­se gene­se­nen Men­schen hätte.

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Ändern die Men­schen ihr Ver­hal­ten, um sich zu schüt­zen, kann die Win­ter­wel­le ohne zusätz­li­che staat­li­che Ein­schrän­kun­gen bewäl­tigt werden.(Foto: CoSim Online)

Es spricht also alles für einen Mit­tel­weg. Und der ent­spre­che in etwa einem “Wei­ter so”, sag­te Prie­se­mann dem “Spie­gel”: Nicht zu vie­le Groß­ver­an­stal­tun­gen zulas­sen und Mas­ken tra­gen, wo es ver­tret­bar ist.

Drei Prozentpunkte können einen großen Unterschied machen

Das mensch­li­che Ver­hal­ten im Simu­la­tor zu berück­sich­ti­gen, ist nicht ganz ein­fach. Man kann aber eine wach­sen­de Impf­be­reit­schaft ein­stel­len, die zu einer höhe­ren Impf­quo­te führt. In den Grund­ein­stel­lun­gen sind am 10. Dezem­ber knapp 69 Pro­zent der Bevöl­ke­rung durch­ge­impft und das war’s. Ange­sichts des lah­men­den aktu­el­len Fort­schritts könn­te das pas­sie­ren, bis­her sind erst 66,4 Pro­zent erreicht.

Stellt man die Reg­ler so ein, dass zum glei­chen Zeit­punkt knapp 72 Pro­zent durch­ge­impft sind, steigt die Inzi­denz nur bis Ende Janu­ar auf bis zu 220 Neu­in­fek­tio­nen an. Wich­ti­ger aber ist, dass die Zahl der Inten­siv­pa­ti­en­ten 5800 nicht über­schrei­tet. Das wäre zwar immer noch sehr hart für die Sta­tio­nen, aber wahr­schein­lich mit Ach und Krach zu stemmen.

Auch die täg­li­chen Todes­zah­len wür­den bei die­sem Sze­na­rio mit höchs­ten 320 wesent­lich nied­ri­ger aus­fal­len. Und wenn sich noch mehr Men­schen imp­fen las­sen und/oder vor­sich­ti­ger ver­hal­ten, könn­te die Win­ter­wel­le sogar noch glimpf­li­cher ablau­fen. Es liegt an jedem Einzelnen.

Quel­le: ntv.de

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