- VON JOACHIM MÜLLER-JUNG
Grundschulkinder mit Erwachsenen-Impfstoff immunisieren – ist das überhaupt zulässig, solange der Kinder-Impfstoff noch nicht ausgeliefert ist? Der Kunstgriff mancher Ärzte und Ärztinnen ist legal, aber hat auch seine kleinen Tücken.
Am 13. Dezember und damit eine Woche früher als ursprünglich angekündigt sollen die ersten von insgesamt 2,4 Millionen für Deutschland vorgesehene Dosen des Comirnaty-Kinderimpfstoffs von Biontech/Pfizer ausgeliefert werden. Einigen Ärzten und Eltern ist das zu spät. Das erhöhte Gesundheitsrisiko des eigenen Kindes durch eine Vorerkrankung (Lungen- oder Herzleiden, Down Syndrom und andere) und dazu die aktuell überdurchschnittlich hohen Fallzahlen in der Altersgruppe der fünf- bis elfjährigen Kinder sowie das damit verbundene Ansteckungsrisiko in den Schulen hat einige bereits zu einem medizinischen Kunstgriff verleitet: Sie impfen die Kinder „off-label“. Prinzipiell handelt es sich dabei um einen „nicht bestimmungsmäßigen Gebrauch“. Das ist keineswegs verboten in der medizinischen Praxis, sondern völlig legal, zumal die offizielle Zulassung der Erwachsenen-Impfstoff selbst von der europäischen Zulassungsbehörde EMA zuerst auf die über elfjährigen Jugendlichen und zuletzt am 25. November auf die 5- bis 11-Jährigen erweitert wurde.
Sind Erwachsenen und Kinderimpfstoff gleich zusammengesetzt?
Grundsätzlich handelt es sich bei der Kinderversion des Biontech/Pfizer-Impfstoffs um denselben Wirkstoff mit denselben zusätzlichen Inhaltsstoffen – allerdings in unterschiedlichen Konzentrationen – wie bei der seit fast einem Jahr zugelassenen und milliardenfach verimpften Comirnaty-Vakzine. Deshalb handelt es sich auch lediglich um einer Erweiterung der EMA-Zulassung und nicht etwa um eine viel aufwändigere Neuzulassung. Anfangs wurde der Wirkstoff aus Gründen der besseren Lagerung unverdünnt ausgeliefert, die Flüssigkeit in den Fläschchen wurde vor der Impfung mit einer Kochsalzlösung erhöht und der Wirkstoff entsprechend verdünnt. Inzwischen werden die Impfstoffe gebrauchsfertig und damit auch verdünnt ausgeliefert. Zu erkennen sind die die Durchstech-Fläschchen mit der Erwachsenen-Version an einem grauen Deckel, die mit der Kinderversion an einem orangenen Deckel.
Ist es problematisch, aus den bereits verfügbaren Erwachsenen-Fläschchen die Kinderimpfdosen zu ziehen?
Entscheidend ist, dass die Kinderimpfung mit einer Drittel Dosis der Erwachsenen- und Jugendimpfung zugelassen ist und auch so verabreicht wird, also 10 Mikrogramm Konzentrat pro Injektion statt 30 Mikrogramm von dem Wirkstoff. Aus einer gebrauchsfertigen Durchstechflasche mit dem verdünnten Erwachsenenimpfstoff lassen sich standardmäßig sechs Dosen des Impfstoffs herausziehen. In den 0,3 Milliliter Flüssigkeit sind demnach 30 Mikrogramm des Impfstoffs enthalten. Möchte man dem dem Impfstoff aus einem Erwachsenen-Fläschchen Kinder impfen, kann man theoretisch 18 Dosen à 10 Mikrogramm erhalten. Allerdings dürfen dann auch nur maximal 0,1 Milliliter in die Spritze gezogen werden. Das ist eine geringe Menge, die nur mit speziellen Feindosisspritzen exakt dosiert werden kann. In dem Kinderimpfstoff, der ab 13. Dezember gebrauchsfertig ausgeliefert werden soll, sind die 10 Mikrogramm für jede Dosis in jeweils 0,2 Milliliter — also in einer doppelt so großen Flüssigkeitsmenge — enthalten. Damit ist die Dosierung kurz vor der Impfung sicherer.
Gehen die Ärztinnen und Ärzte besondere Haftungsrisiken ein?
Grundsätzlich ist Ärztinnen und Ärzten eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln erlaubt. So lange die speziell zubereiteten, registrierten Kinderfläschchen noch nicht offiziell zu erhalten sind, fällt die Nutzung der anders dosierten Erwachsenen-Fläschchen bei unter Elfjährigen unter den Off-Label-Gebrauch. In der Off-Label-Nutzung sind alle Anwendungen von Medikamenten innerhalb der Zulassung in der Regel auch haftungsrechtlich abgedeckt. Auf die Empfehlung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) müssen die Ärzte und Ärztinnen nicht zwingend warten, ihre Stellungnahme wirkt sich nicht auf die Zulassung aus. Allerdings vertrauen viele Mediziner auf das Urteil der STIKO, weil dieses ehrenamtliche Empfehlungskremium innerhalb des Robert-Koch-Instituts erfahrungsgemäß besonders sorgfältig die wissenschaftliche Evidenz zu Sicherheit und Wirksamkeit auswertet und abwägt. Erwartet wird, dass die STIKO ihre Empfehlung zur Kinderimpfung noch vor dem 13. Dezember abgibt und — nach inoffiziellen Äußerungen von STIKO-Mitgliedern — ähnlich wie bei der Jugendimpfung zuerst eine Empfehlung für Kinder mit Vorerkrankungen ausspricht.
Quelle: FAZ.NET